„Islam in Europa. 1000-1250“

Ausstellung des Dommuseums Hildesheim zum Godehardjahr

Was hat ein Mönch aus Bayern, der am Beginn des 11. Jahrhunderts Bischof von Hildesheim wurde, mit der islamischen Welt zu tun? Ist das nicht die Zeit des „christlichen Abendlandes“ mit einer homogenen Kultur, die geprägt war von der Verbindung jüdischer, antiker und germanischer Traditionen? Wo hätte er dem islamisch geprägten Kulturraum überhaupt begegnen können?

Bereits die erste Antwort mag verblüffen, denn Godehard traf auf Objekte aus der islamischen Welt in der Liturgie des Domes. Außer dem karolingischen Gründungsreliquiar, der Lipsanotheca mit einem Stück vom Gewand der Gottesmutter, ist ein zweites Marienreliquiar, die Hieratheca Beatae Mariae Virginis im Dom von zentraler Bedeutung. Am Ende des 10. Jahrhunderts wahrscheinlich von Bischof Osdag gestiftet, verbindet das Reliquiar die damals häufige Form einer Gürteltasche, einer Bursa, mit ungewöhnlichen Dekorelementen. Als Bekrönung dient eine aus Bergkristall gefertigte Schachspielfigur, die aus dem fatimidischen Ägypten stammt und auf der Vorderseite sind zwei rote geschnittene Edelsteine integriert. Der eine zeigt eine antike Göttin, der andere eine kufische, also arabische Inschrift mit einer Anrufung Allahs, ein Siegelstein, wie er als Amulett in der islamisch geprägten Welt gebräuchlich war. Dass Godehard die Inschrift lesen konnte, ist mehr als unwahrscheinlich, aber die Präsenz arabischer Kulturimporte in Hildesheim und ihre Integration in hochrangige Werke sakraler Kunst ist kein Einzelfall. Importiert werden nicht nur Objekte, sondern auch Kenntnisse und Techniken, die mit Gegenständen in Verbindung stehen. Nicht nur die Schachfiguren kommen nach Europa, sondern auch das Schachspiel, als Beschäftigung in den intellektuellen höfischen Kreisen. Medizinische Texte der römischen Antike gelangen als Rückübersetzungen aus dem Arabischen in europäische Bibliotheken, darunter auch in die Hildesheimer Dombibliothek. Ob die „arabischen“ Künstler, Wissenschaftler oder Ärzte Muslime, Juden oder Christen waren, wissen wir in der Regel nicht, denn die von uns als „islamisch“ bezeichneten Räume sind multireligiös mit großen jüdischen und christlichen Bevölkerungsgruppen. Dazu gehören nicht nur der sog. Nahe Osten und Nordafrika, sondern auch große Teile Spaniens und des südlichen Italien. Dieser Teil der Welt und seine Geschichte wird auch in Mitteleuropa in die eigenen historischen Narrative einbezogen. Der Godehard nahestehende Kaiser Heinrich II. lässt für seine Stiftung Bamberg eine der damals tradierten Überblicksdarstellungen zur „Weltgeschichte“ kopieren, die sog. Historia Romana. In dieser Kopie werden der Aufstieg Mohammeds und die Expansion der Araber ausführlich und bemerkenswerterweise ohne Polemik beschrieben. Besonders sind es aber kostbare Dinge, Seide, Elfenbeinarbeiten und der ästhetische Reiz der arabischen Kalligraphie, die Eingang in die mitteleuropäische Welt finden. Als nach der Heiligsprechung Godehards seine Überreste in den neuen Schrein umgebettet werden, ist nur das kostbarste Material würdig, mit den Gebeinen des Heiligen in Kontakt zu kommen, Seidenstoffe aus dem arabischen Spanien und dem heutigen Irak. Dort lagen damals die kulturellen Zentren der Welt, aber im mitteleuropäischen Hildesheim, sozusagen an der Peripherie der Zivilisation, wollte man zumindest an deren Fertigkeiten und Kenntnissen teilhaben, sie für sich selbst nutzbar machen und weiterentwickeln.

Vom 07.09.2022 bis zum 12.02.2023 werden die Zusammenhänge der mitteleuropäischen und der islamisch geprägten Kultur ausgehend von Kunstwerken aus bedeutenden deutschen und internationalen Sammlungen in der Sonderausstellung des Dommuseums präsentiert. Begleitet wird die Ausstellung durch ein umfangreiches Vermittlungsprogramm mit Führungen, Workshops, Schulprojekten und Veranstaltungen. Bei Interesse an weiteren Informationen oder dem konkreten Wunsch nach einer Zusammenarbeit im Vorfeld bzw. während der Ausstellung wenden Sie sich bitte an das Team des Dommuseums über die Mailadresse dommuseum(ät)bistum-hildesheim.de.

Von Prof. Dr. Claudia Höhl