Von Aufbrüchen und schweren Geburten

„Bischof Heiner möchte den Transformationsprozess im Bistum mit einem Godehardjubiläum vorantreiben. Hast du Lust auf Projektmanagement?“ So fing es an, Anfang 2020.

Klar war, dass die innere Erneuerung des Bistums flankiert werden soll durch Begegnungs- und Lernräume, die Diskurse ermöglichen und Innovationsimpulse setzen. Zusätzlich sollte auf Schatzsuche gegangen werden, um bereits begonnene Transformationen zu unterstützen und voranzutreiben sowie von Aufbrüchen, Lernprozessen und kreative Ideen aus der Fläche zu erzählen.

Geschichte und Geschichten

Als Erzählhilfe und Fragengeber dient der Heilige Godehard. Ein Benediktiner-Abt aus Bayern, am 1. Advent, dem 2.12.1022 in Göttingen zum Bischof von Hildesheim geweiht. Als Gotthard wurde er im Süden bekannt und so heißt auch „sein“ Tunnel. Mir ist sein plattdeutscher Name näher – Godehard. Der mit dem guten Herzen. Ein auf Bildung und Zurüstung Schwörender, Gründer von Kirchen und Domschulen. Und obwohl ich zunächst unsicher war, ob der Heilige Godehard uns eine Hilfe oder ein Klotz am Bein wird, habe ich ihn in den letzten Monaten sehr schätzen gelernt. 

Seine Geschichten – von heißen Kohlen und großen Streitigkeiten, vom Wert der Schönheit für die Seelsorge und seine Verwurzelung im Wort Gottes – setzen Energie frei. In großer Offenheit berichtet die mittelalterliche Vita vom Scheitern. Von der Benediktsregel als alltagstaugliche Blaupause fürs gute Leben und gleichzeitig der Offenheit, Menschen vor Ort und Kontexte miteinzubeziehen. Sie zeigt Experimente und Machtspiele, aber auch Freude an der Armenfürsorge und eine Herzlichkeit, die legendär geworden ist.

Godehards Geschichte und seine Beharrlichkeit, auf Berufung zu setzen und Fragen zu stellen, verweben sich mit unseren Fragen. Manchmal wirkt es beim „Rauszoomen“ als wären es gar die gleichen: 

Kirchenentwicklung?

Godehards Antwort: kontextuell und lokal. Ästhetisch muss es sein, die Seelsorge im Mittelpunkt. 

Rolle als Bischof?

Gut gegründet im Gebet, grober Rahmen abgesteckt und dann Menschen ermutigen. Mach dein Ding. Sei nicht bange. Und vergiss die Bildung und das Fragen nicht, neben dem Arbeitsalltag. Widerspruch ist gut – besonders, wenn du damit näher an Christus als an Autoritäten bist. 

In der Fremde neu beginnen?

In einem Bistum der Zugezogenen passt Godehard gut dazu. Auch mit seinem Widerwillen, überhaupt in den Norden zu kommen und alles Bisherige aufzugeben – Brüder, Freunde und Heimat. Das Ankommen war schwierig, die Fußstapfen groß und die Vernetzung im Mittelalter auch nicht so einfach. Aber die Heilige Schrift konnte er mitnehmen, seinen klösterlichen Tagesrhythmus übertragen. Die Alteingesessenen empfingen ihn freundlich, manche Mentoren blieben, andere politische Verbündete oder internationale Vernetzungen gewann er hinzu. Neugier und Offenheit prägten sein Ankommen, Erneuerungswille und Zuhören waren seine Stärken. 

Streitkultur?

Fehlende Klarheit oder ein Mangel an Positionen kann man Godehard nicht vorwerfen. Es musste gerecht zugehen, selbst wenn der Kaiser anderer Meinung war. Es wird gesagt, er hatte Freude am Streiten, Ringen und Diskutieren – an Synoden und Tagungen, egal ob kirchlich oder am Hof. Manchmal übernahm er sich. Musste Fehler zugeben und sich zurückziehen. Manchmal gewann er durch Witz und Freundlichkeit neue Weggefährten. Für heute nehme ich mit: Er war im Dialog. Hatte Freude am Austausch, am genauen Hinhören, Lernen und Gestalten. Auch hier prägt ihn: #keineBange und auf Gottes Wort trauen.

Teilhabe & Gerechtigkeit?

Hier überlappt sich Godehards Aufbruchsgeist mit dem damaligen Zeitgeist. Wir wissen aus seiner Zeit von der Gründung von Domschulen, Verbreiterung der formalen Bildung und Vertiefung der Herzensbildung. Aus heutiger Sicht wären seine „Machtdemonstrationen“ und sein unsolidarisches und teilweise herabsetzenden Verhalten gegenüber Frauen in Leitungspositionen zu kritisieren. Dies zeigte sich besonders im traditionellen Rollenverständnis und Diffamierungen als „Prinzessinnen-Gehabe“ bei Verhaltensweisen, die Männern vermutlich als standesgemäß zugestanden worden wären. Aber: Godehard war ein Kind seiner Zeit. Berufen und gegründet in seinem Glauben und verwoben in Politik und Transformationsprozesse des Hochmittelalters positionierte er sich und seine Kirche. Dass er dabei in einigen Positionen nicht reflektierter oder jesuanischer war, als andere „große Männer“ seiner Zeit, ist aus heutiger Sicht defizitär, passt aber zum damals typischen Verhalten. 

Aus Godehards Fragen und Geschichten knüpfen wir Verbindungen zu heute, prüfen wo sein Geist hilfreich für Auf- und Umbrüche ist und nutzen die Reibung an Godehard zur Auseinandersetzung mit unserer Idee von jesuanisch, benediktinisch und menschlich. Diese drei nämlich hat Bischof Heiner als Leitworte und Ziele aus den Wegmarken abgeleitet, um zu beschreiben, wie das Godehardjahr sein soll. Mehr dazu finden Sie unter "Ziele"

Erzählgemeinschaft werden

Für das Godehardjahr ist uns als Steuerungsgruppe wichtig, dass wir einander zuhören und gemeinsam unterwegs sind. Vielfalt und Kirche in Zwischenräumen entdecken und neu wertschätzen. Dass Verletzungen nicht verschwiegen werden und wir Begegnungsräume und Lernmöglichkeiten schaffen, in denen heiliger Trotz und ne geile Zeit zusammenkommen. Damit wir merken: Wir sind nicht allein, mit der Sehnsucht in all den Facetten in denen wir unseren Glauben leben, gemeinsam Kirche zu sein. Wir sind nicht allein, in der Wut und Ohnmacht über Vertuschungen und in unserem trotzdem dabeibleiben. Ringend um unser Verständnis von Nachfolge, zwischen #machdeinDing und #whatwouldJesusdo. Suchend nach Orten und Spielräumen, die Platz für Gott lassen – im Vertrauen, dass es für Aufbrüche und Transformationen agiles Denken und eine Vision braucht, smarte Ziele uns hingegen im Alten verankern. Wissend, dass es Impulse braucht, Fremdes und Irritation, aber auch Weggefährt*innen und Bestärkung, um Haltungswandel anzustoßen. Und das manchmal schon zusammen losgehen genügt. 

Mit den vier Arbeitsgruppen, die gerade beginnen, das Godehardjahr vorzubereiten, möchten wir Diskursräume öffnen und Formate schaffen, um von Fehlern zu hören, von Experimenten und geliebten Traditionen. Wir wollen Zeiten und Anlässe bieten, ins Beten, Fragen und Streiten zu kommen. Pionier*innen versammeln und Gemeinschaft auf Zeit leben. Anhand von Legenden und Geschichten von vor 1000 Jahren und Erfahrungen von heute, erzählen wir einander von gelingenden Veränderungen und bleibender Verwurzelung im Evangelium, von Berufung und Teilhabe, Freiheit und Menschlichkeit. Das Hildesheimer Dommuseum und das Bistumsarchiv setzen jeweils eigene Akzente, um Godehard zu übersetzen, neue Zugänge zu erschließen und durch größere Perspektiven eine historische Einordnung zu ermöglichen. 

Sicher wird es nicht leicht, bei allem was parallel gerade im Bistum geschieht gut, miteinander aufzubrechen. Aber nicht umsonst ist Godehard Heiliger für Erneuerung und schwere Geburten. Glauben geht. 

Wir freuen uns, wenn Sie neugierig geworden sind. Mit Fragen, Aufbruchsgeschichten und Ideen wenden Sie sich gerne an das Projektmanagementteam unter: info(ät)godehardjahr.de.

Von Friederike Goedicke